Nachdem der Erfurter Stadtrat den Antrag: “Mitmenschliches Erfurt – Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten aus Seenotrettung” beschlossen hat, dieser empfiehlt dem Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Andreas Bauswein, den offenen Brief der Thüringer Integrationsbeauftragten Mirjam Kruppa an Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel zu unterzeichnen, und der Oberbürgermeister diesen aber nicht unterzeichnen möchte, schreibt Seebrücke Erfurt einen offenen Brief an den OB, den wir Grüne ganz klar unterstützen.
Erfurt, 05. Dezember 2018
AN DEN OBERBÜRGERMEISTER DER LANDESHAUPTSTADT ERFURT
Sehr geehrter Herr Bausewein,
der Erfurter Stadtrat hat am 17.10.2018 dem Antragspunkt der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, der Ihnen empfiehlt, den offenen Brief der Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge des Landes Thüingen, Mirjam Kruppa, an die Bundeskanzlerin zu unterzeichnen, mehrheitlich zugestimmt. Der weiterführende Antrag, der darüber hinaus eine Bereitschaft der Stadt Erfurt, sich an der Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten zu beteiligen, beinhaltete, wurde abgelehnt.
Im Vorfeld haben wir als SEEBRÜCKE Erfurt durch Kundgebungen und eine Petition das Anliegen der antragstellenden Fraktionen unterstützt. Nun haben wir erfahren, dass Sie sich dahingehend geäußert haben, der oben genannten Empfehlung nicht nachkommen zu wollen. Wie wir kurz nach dem Stadtratsbeschluss schon bekundet hatten, hielten wir das Unterzeichnen des offenen Briefes für einen Akt mit eher symbolischer Kraft. Dass nun nicht einmal dies geschieht, enttäuscht uns sehr. Schließlich bestand der Appell im offenen Brief an die Bundeskanzlerin lediglich darin, die „humanitäre Verpflichtung bei der Entwicklung und Umsetzung von politischen Lösungen auf europäischer Ebene hochzuhalten, um ihr wieder gerecht zu werden. Wir halten ein deutsches Engagement bei der staatlichen und privaten Seenotrettung für unabdingbar.“
Auf Rückfrage nach dem Grund für Ihr Nicht-Unterzeichnen in einem Interview bei Radio F.R.E.I. am 19. November 2018 beklagten Sie, dass es an Unterstützung des Freistaats Thüringen bei der Aufnahme geretteter Schutzsuchender mangele und betonten in diesem Zusammenhang die eingeschränkte kommunale Handlungsfähigkeit. Selbstverständlich sehen auch wir den Einsatz und die Förderung durch das Land bei der Aufnahme, Versorgung und Unterstüzung von Geflüchteten in den Kommunen als
unabdingbar.
Doch das ist in der Debatte um den offenen Brief nicht der Punkt.
Wir sehen Ihre Äußerung als unzureichende und uns unverständliche Begründung – einerseits da Sie sich im selbigen Interview sogar deutlich für die Wichtigkeit der Seenotrettung im Mittelmeer positionierten; andererseits da Ihre Unterstützung des offenen Briefes weder eine Verpflichtung zu vermehrter Aufnahme von Geflühteten durch die Kommune implizieren wüde, noch ein politisches Bestreben für stärkere Unterstützung durch den Freistaat in diesem Belangen ausschließen würde.
Wir verstehen nicht, warum Sie sich in dieser Angelegenheit verweigern, durch Unterzeichnen des offenen Briefes klar Position zu beziehen – insbesondere da Sie in der Vergangenheit, so erst kürzlich in Bezug auf den Bau der Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde in Marbach, bereits bewiesen haben, dass sie bereit sind, für den Erhalt von universellen Grundrechten einzutreten. Wenn Ihnen, wie wir es aus dem bereits erwähnten Interview heraushören, die Dringlichkeit des Themas Seenotrettung bewusst ist, warum tun Sie dann nicht wenigstens diesen Schritt, um ein Signal zu senden? Das Ziel des offenen Briefes ist das Zeigen von Haltung. Dies ist aktuell – gerade in Vergegenwärtigung der allein in diesem Jahr über zweitausend auf ihrer Flucht auf dem Mittelmeer Gestorbenen und in Anbetracht der stetigen Kriminalisierungsmaßnahmen gegen zivile Seenotrettungsorganisationen, die versuchen, dem Sterben ein Ende zu setzen, wichtiger denn je. Wir sehen uns konfrontiert mit einer weitreichenden europäischen Politik der Abschottung, in welche sich auch die aktuelle Migrationspolitik des Bundesministerium des Inneren mit Forderungen nach menschenunwürdigen Ankerzentren und Kampagnen für sogenannte „Freiwillige Rückkehr“ einreiht.
In Hinblick auf all dies erscheint uns ihr Nicht-Handeln gänzlich inkonsistent. Das laute und deutliche Hochhalten humanitärer, solidarischer Werte muss aus der Zivilgesellschaft wie aus der Politik heraus passieren, sei es auf kommunaler, auf Landes- oder Bundesebene. Dies ist unser aller humanitäre Pflicht.
Wir fragen Sie: Wie wollen Sie dieser Verantwortung als Oberbürgermeister der Stadt Erfurt gerecht werden?
Wir laden Sie ein, mit uns in Dialog zu treten, beispielsweise bei einem unserer regelmäßigen Treffen.
Wir appellieren an Sie, sich öffentlich zu äußern und die Initiative zu ergreifen, um gegen dieses Unrecht zu protestieren und für die Stadt Erfurt ein Zeichen gegen das Sterben vor den europäischen Grenzen zu setzen.
SEEBRÜCKE Erfurt
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