Liebe Erfurter*innen,
Am 16. September stellte uns Tobias Frank im AJZ Erfurt, sein Buch „…damit zusammenwächst, was zusammengehört“ vor. Im gut gefüllten Raum fanden sich einige Grüne, viele Gäste und interessierte junge Menschen zum Zuhören und Mitdiskutieren ein.
Mit „…damit zusammenwächst, was zusammengehört“ veröffentlicht der Autor Tobias Frank sein erstes Werk. Das Buch ist Ergebnis langjähriger Forschung und räumt einige Ost-West-Mythen aus.
Der in Sachsen aufgewachsene Diplom-Sozialpädagoge lebte nach der deutschen Vereinigung in Bayern, von 1997 bis 2007 in Erfurt und seitdem im Weserbergland. In seinem Buch schildert er auch persönliche Erfahrungen und Erkenntnisprozesse, die sein Leben in zwei verschiedenen Gesellschaftsordnungen und den beiden deutschen Landesteilen prägten.
Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Thüringer Landtag und Erfurter Stadträtin Astrid Rothe-Beinlich und die Sprecherin des Kreisverbandes Doreen Denstädt führten durch die Veranstaltung und regten zur Diskussion an.
In der Vorstellungsrunde erläuterte Tobias Frank zunächst seine Motivation zum Buch und seinen besonderen Ansatz, nachdem Astrid Rothe-Beinlich mit der Geschichte, woher sich beide kennen, eingeleitet hatte. Auch mehr als 30 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gibt es noch immer verschiedene Ansichten, Erfahrungen und Meinungen zur Geschichte unseres Landes und zum Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Diese Ansichten sind häufig vom Aufwachsen in verschiedenen Gesellschaftssystemen sowie Kulturen geprägt und führen bis heute zu Missverständnissen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Daraus resultieren Mythen und Verdrängungsstrategien, die auch aktuell immer noch eine Verständigung der Menschen in Ost- und Westdeutschland erschweren.
Schon im Prolog seines Buches setzte sich der Autor mit einem weit verbreiteten Mythos auseinander: Er legt anhand zahlreicher wissenschaftlicher Studien dar, dass die DDR nicht von der Bundesrepublik „annektiert“ wurde – wie Gregor Gysi behauptet – und dass den Ostdeutschen auch kein System „übergestülpt“ wurde, wovon jedoch die große Mehrheit der Ostdeutschen ausgeht. Mit der freien und demokratischen Volkskammerwahl am 18. März 1990 entschieden sich die DDR-Bürger*innen mehrheitlich für einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und somit zur Übernahme aller dort geltenden Gesetze und Regeln sowie des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems.
Tobias Frank erläuterte in seiner Buchpräsentation, dass viele Ostdeutsche auch nach 30 Jahren eine idealisierte Vorstellung von Demokratie haben und aus diesem Grund den für Demokratien typischen Streit von Interessengruppen ablehnen. Daraus resultiert nach seinen Erkenntnissen Unzufriedenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik, die zu einer weit verbreiteten Demokratie- und Politikverdrossenheit führt. Diese Unzufriedenheit hat bei einem Teil der Bevölkerung autoritäre und fremdenfeindliche Einstellungen zur Folge, die sich bei Wahlen in Verweigerung bzw. der Wahl von Protestparteien niederschlagen kann.
Obwohl sich Ostdeutschland nach der Vereinigung wirtschaftlich rasant entwickelt hat und in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine Angleichung an die Lebensverhältnisse im Westen Deutschlands erzielt werden konnten, sind viele Menschen in den östlichen Bundesländern unzufrieden mit dem Verlauf des Vereinigungsprozesses. Die zahlreichen Biografiebrüche, die häufig erlebte – in der DDR unbekannte – Arbeitslosigkeit, die im Vergleich zu Westdeutschland niedrigeren Löhne und Renten und die Schließung vieler Betriebe haben zu Frustration und Benachteiligungsgefühlen geführt, die sich in Skepsis gegenüber der Demokratie und Marktwirtschaft der Bundesrepublik äußern. Im Buch wird von Tobias Frank dargestellt, dass diese anhaltenden Benachteiligungen der in der DDR aufgewachsenen Menschen real sind, jedoch nicht – wie viele seiner ostdeutschen Landsleute glauben – Zeugnis einer bewussten Benachteiligung durch die Westdeutschen sind. Er belegt anhand zahlreicher Dokumente, dass diese Benachteiligungen aus der verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED resultieren und trotz großer Anstrengungen aller Bürger*innen Deutschlands bis heute nicht beseitigt werden konnten, möglicherweise nie beseitigt werden können.
In der spannenden Diskussion im Anschluss an die Lesung ging es immer wieder darum, wie die noch immer bestehenden Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschen abgebaut werden können, damit Deutschland auch in den Köpfen seiner Bürger*innen vereinigt ist.
Tobias Frank plädierte dafür, denjenigen, die Mythen und Lügen verbreiten, die andere Menschen diskriminieren oder die Demokratie im Land beschädigen wollen, vehement zu widersprechen. Das sei anstrengend und führe zu Konflikten – auch in Familien und im Freundeskreis – ist nach seiner Überzeugung jedoch die einzige Möglichkeit einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Er sei optimistisch, dass das gelingen kann – genau deshalb hat er das Buch geschrieben.
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