In den vergangenen Jahren häuften sich Berichte, in denen über Gewalt- und Missbrauchstaten berichtet wurde. Auch die Nacht- und Clubkultur in Erfurt ist hiervon betroffen gewesen. In der Vergangenheit wurden entsprechende Gewaltvorfälle, rassistische und sexistische Vorfälle in Parks und Grünanlagen sowie die Verwendung von K.O.-Tropfen bekannt. Nicht zuletzt häuften sich erst kürzlich Vorfälle und Machtmissbrauch in der Musikszene in der medialen Berichterstattung. Dies ist ein ernstzunehmendes Problem.
In der jüngsten Studie von Plan International, die Männern zwischen 18 und 35 Jahren, der Altersspanne, die sich auch in Erfurter Clubs- und Nachtkultur bewegt, befragte, werden dramatische Einstellungsmuster deutlich:
- 48% der Befragten fühlen sich gestört, wenn Männer ihr „Schwulsein“ in der Öffentlichkeit zeigen
- 49% der Befragten möchten in Beziehungen das letzte Wort haben
- 47% der Befragten verstehen „Aufreizendes Verhalten“ als Aufforderung
- 34% der Befragten gibt an, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden,
um ihnen Respekt einzuflößen - 42% der Befragten stimmen der Aussage „Manchmal trinke ich so viel Alkohol, dass ich
nicht mehr weiß, was ich angestellt habe“ zu - 63% der Befragten geben an, dass sie sich oft mit anderen messen und die Besten sein wollen
Aus dem Thüringen Monitor 2022 gehen Befunde zu den Einstellungen insbesondere in Bezug auf Rassismus und Ethnozentrismus hervor:
- 41% der Befragten stimmen der Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen
- 47% der Befragten halten die Bundesrepublik […] durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“
- 45% der Befragten sagen „Die meisten in Deutschland lebenden Muslime akzeptieren unsere Werte nicht“
In indirektem Zusammenhang steht auch eine Zunahme an rassistischer Gewalt in Thüringen und Erfurt mit 180 Angriffen, welche die Opferberatung ezra dokumentiert hat. Von diesen Angriffen wurden 53 in Erfurt und 26 Fälle mit rassistischer Tatmotivation bekannt. Das Dunkelfeld und Alltagsrassismus werden dabei nicht mal erfasst.
Entsprechende Einstellungen schlagen auch in Gewalt oder Bedrohungen um. Insbesondere mit Blick auf einen hohen Alkoholkonsum und damit verbunden sinkende Hemmschwellen, zeigen Handlungsbedarf auch für die Erfurter Nacht- und Clubkultur an. Gewalt- und Missbrauchstaten lassen sich nicht unter allen Umständen verhindern. Ebenso wenig hilfreich wären Verbote und Einschränkungen in der Erfurter Nacht- und Clubkultur. Deshalb braucht es aus unserer Sicht Maßnahmen, um diesen zum einen vorzubeugen als auch konkrete Handlungspläne bei Fällen von Missbrauch und Gewalt in öffentlichen Club- und Kultureinrichtungen sowie eine gute Weitervermittlung an entsprechende Beratungsstellen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von sogenannten Awareness Teams in Clubs und Kultureinrichtungen. Für die Erfurter Parks besteht bereits ein Modellprojekt. Insgesamt braucht es eine Kultur der öffentlichen Solidarisierung mit Betroffenen und eine klar kommunizierte Ablehnung von Diskriminierung.
Sogenannte Awareness Teams sind Gruppen von geschulten und sensibilisierten Personen, die in Clubs und Kultureinrichtungen tätig sind, um ein sicheres und respektvolles Umfeld für alle Besucherinnen und Besucher zu gewährleisten. Sie setzen sich proaktiv dafür ein, Gewalt und Missbrauch zu verhindern und bieten gleichzeitig Unterstützung für diejenigen, die davon betroffen sind. Diese Teams sind häufig aus verschiedenen Bereichen zusammengesetzt, wie zum Beispiel aus Sicherheitspersonal, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, psychologischen Fachkräfte sowie freiwilligen Helferinnen und Helfer. Außerdem fungieren sie als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Gäste, die sich bedroht oder unwohl fühlen, und bieten ihnen einen sicheren Raum, um über ihre Erfahrungen zu sprechen. Sie koordinieren auch Maßnahmen zur Krisenintervention und leiten gegebenenfalls rechtliche Schritte ein. Durch die Implementierung von Awareness Teams können Clubs und Kultureinrichtungen eine Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit schaffen, in der alle Gäste ihre Zeit genießen können, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Orte der Nachtkultur wollen wir als Safer Space gestalten und definieren. Die Präsenz dieser Teams sendet eine klare Botschaft aus: Gewalt und Missbrauch werden nicht toleriert!
Beispiel-Projekte: Der Erfurter Club Kalif Storch hat erkannt, dass die Einrichtung eines Awareness Teams von großer Bedeutung ist. Insbesondere, um den Schutz der Gäst*innen zu gewährleisten und ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Durch die Anwesenheit des Teams werden potenzielle Täter*innen abgeschreckt. Gleichzeitig fühlen sich die Gäst*innen sicherer, da sie bei Problemen konkrete Anlaufstellen haben. Auch auf Festivals, wie bspw. dem Hurricane, Southside oder MS Dockville Festival gibt es bereits implementierte Strukturen zur Hilfe und oder Prävention bei Gewalt- oder Missbrauchsdelikten. Der Code-Satz „Wo geht’s hier nach Panama“ ermöglicht allen Besucherinnen und Besuchern des Hurricane und Southside Festivals Personal, wie Awareness Teams, bei Gewalt-, Diskriminierungs- und Missbrauchsdelikten um Hilfe zu bitten. Die entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dabei explizit für solche Fälle geschult.
In der Praxis zeigen sich jedoch auch die Herausforderungen: Sowohl für freiwillige Awareness Teams, als auch Bar- und Sicherheitspersonal in den Clubs gibt es in Thüringen unserer Kenntnis nach keine institutionelle Dachstruktur und Schulungsangebote. Entsprechende Kapazitäten braucht es auch in Thüringen und Erfurt, um einer bereiteren Gruppe einen regelmäßigen Zugang dazu zu eröffnen. Zudem laufen in den Clubs die Awarenessstrukturen häufig noch auf freiwilliger Basis gegen kostenlosen Eintritt und alkoholfreie Getränke. Alternativ werden die Aufgaben von Bar- und Sicherheitspersonal mitübernommen. Gleichzeitig stellt die Awarenessarbeit ein festen Bestandteil in den Konzepten der Clubs, auch in Abgrenzung so sogenannten Diskotheken (vgl. Definition der Berliner Clubkommission) dar. Eigentlich bedürfte es hierfür bezahltes, hauptamtliches Personal. Dieses würde jedoch zu einer erheblichen Erhöhung der Eintrittspreise führen.
Daher erheben sich folgende Handlungsansätze, um die Awarenessarbeit weiter auszubauen und zu professionalisieren. Über die Notwendigkeit, die Ausgestaltung und Etablierung dieser Punkte wollen wir die kommenden Monate in den Austausch der Akteur*innen und Stadtgesellschaft kommen:
- Institutionalisierte Stelle und regelmäßig organisierte Schulungsangebote in Thüringen und Erfurt, organisiert auf Landes- oder kommunaler Ebene
- Regelmäßiger Round-Table in Erfurt zur Sicherheit- und Awarenessarbeit in der Nachtkultur im Rahmen des kommunalen Nachtkultur-Konzepts (in Erarbeitung)
- Weiterführung und Verstätigung von Awareness Teams für die Erfurter Parks im Haushalt 2024
- Förderung von Awareness Teams in Erfurter Clubs im Rahmen der Einnahmen aus der Vergnügungssteuer*
*Vergnügungssteuer: Die Landeshauptstadt erhebt die sogenannte Vergnügungssteuer als Ticketsteuer für den Steuertatbestand „T anzveranstaltungen gewerblicher Art“. In die Vergnügungssteuer fallen auch Spielhallen oder Diskotheken, welche ausschließlich wirtschaftliche Interessen bedienen und nicht nach der Definition der Berliner Clubkommission musikalische, szenekulturelle und clubkulturelle Schwerpunkte haben. Ein Förderprogramm können aus Einnahmen der Vergnügungssteuer entsprechende Elemente der Clubkultur, insbesondere die unwirtschaftliche Awarenessarbeit, gegenfinanziert werden.
Jasper Robeck
Stadtrat und Sprecher für Clubkultur der Erfurter Stadtratsfraktion
Anne Marie Zang
Sachkundige Bürgerin im FRLV der Erfurter Stadtratsfraktion
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