Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
heute schreiben wir Ihnen, weil wir mit unserer Geduld und unserem Verständnis am Ende sind. Wir schreiben Ihnen, weil das Thema Migrationspolitik in unserer Landeshauptstadt in kollektiver Verantwortungslosigkeit zu versinken droht. Wir schreiben Ihnen auch, weil wir Sie im Namen der gesamten bündnisgrünen Stadtratsfraktion darum bitten, und auch auffordern, die Ausländerbehörde, das Thema Einwanderung und die Erfurter Willkommenskultur endlich zur Chefsache zu machen. Viel zu viel Zeit wurde bereits vergeudet.
Ihnen sollte nicht entgangen sein, dass Betroffene bereits seit Jahren über unzumutbar lange Wartezeiten in der Ausländerbehörde klagen, unabhängig davon, was sie beantragen. Fiktionsbescheinigungen (eigentlich ein Provisorium an sich) werden immer nur für ein paar Monate ausgestellt, möglich wäre aber ein Jahr. Auf Mails und Anrufe reagiert die Ausländerbehörde regelmäßig nicht.
Diese langen Wartezeiten und Nichtkommunikation der Behörde versetzt die betroffenen Menschen unter enormen Druck – nicht selten können verbindliche Fristen nicht eingehalten werden, weil die Ausländerbehörde die Anträge der Menschen noch nicht bearbeitet hat.
Die Berichte häufen sich, wonach Menschen in dauerhafter Existenzangst leben, sich nicht mehr auf die Straße trauen und keine Perspektive mehr in Thüringen sehen. Mittlerweile gibt es Betroffene, die bereits Job und Wohnung aufgrund von fehlenden Terminen und in der Folge Bescheinigungen verloren haben. Damit verbauen wir diesen Menschen Lebensperspektiven!
Die Zustände in der Erfurter Ausländerbehörde werden seit Jahren von vielen Seiten kritisiert: Von Migrationsberatungsstellen, der Opferberatung, der Universität Erfurt und dem StuRa, der Seebrücke und von migrantischen Selbstorganisationen.
Aktuell findet eine einmonatige Mahnwache vor der Erfurter Ausländerbehörde statt, die von Betroffenen initiiert wurde, welche keine weitere Möglichkeit sehen mit ihren Anliegen ein Gehör und konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation zu finden, als Werktags von 8:00 Uhr bis 9:30 Uhr im Rahmen einer Versammlung auf die Umstände von Betroffenen mit dieser Behörde hinzuweisen und Druck auf die Stadtpolitik auszuüben.
In der aktuellen Legislaturperiode adressierten bereits im Jahr 2020 unsere Fraktion und die Fraktionen DIE LINKE. und Mehrwertstadt Erfurt die Probleme und Herausforderungen (Wartezeiten, Erreichbarkeit, institutioneller Rassismus) in der Ausländerbehörde.
Erst Anfang 2022 gestand die Verwaltung in einer Anhörung von Jana Rötsch und mir, Jas- per Robeck, im Ordnungsausschuss unter massiven Druck Betroffener ein, dass sie die im Stellenplan vorgesehenen Personalstellen zur Entlastung der Behörde nicht einstellen kann, weil die Büroräume dafür fehlen!
Im Doppelhaushalt 2022/23 verankerten wir dann die notwendigen Mittel, um den Umzug der Behörde in die größeren Büroräume am Kaffeetrichter schnellstmöglich zu ermöglichen. Andere durch uns vorgeschlagene, kurzfristige Lösungen sind gescheitert.
Ein Starttermin im Herbst 2023 wurde mit dem Beschluss des Doppelhaushalts 2022/2023 endgültig versprochen. Aber seien wir ehrlich: ohne unseren politischen und den zivilgesellschaftlichen Druck der Betroffenen hätte es nie Geld dafür gegeben.
Unterschiedlichen Berichten zufolge gab es bereits vor 2022 Überlegungen, ein größeres Objekt anzumieten. Derartige Pläne seien am Finanzdezernenten Linnert gescheitert. Dieser Vorgang wurde nie öffentlich. Sie werden wissen, was an den Gerüchten dran ist. Sollten diese zutreffen, so sind sie ein Zeugnis extrem kurzsichtiger Politik und Verwaltung.
In der Folge beschloss der Stadtrat die Ausschreibung der offenen Stellen, schnellstmöglich, spätestens jedoch zum versprochenen Zeitpunkt des Umzugs (Herbst 2023) der Ausländerbehörde in den Kaffeetrichter. Wir machten mehrmals Vorschläge, um Zwischenlösungen für die neuen Mitarbeiter*innen zu finden.4 Beachtet wurden diese nicht. Dabei war und ist es wichtig, das neue Personal zu finden und schnellstmöglich einzustellen, unabhängig von fertigen Büroräumen. Wo ein Wille ist, gibt es auch kreative Zwischenlösungen.
Jetzt ist plötzlich klar: Vor Februar 2024 wird niemand am neuen Standort arbeiten. Entgegen des Stadtratsbeschlusses sind aktuell keine Stellen ausgeschrieben.
Daneben bleibt zusätzlich weiterhin unklar, wann die zugesicherte Mehrsprachigkeit der Webseite und der entsprechenden Formulare umgesetzt wird oder Mitarbeiter*innen geschult werden in interkulturellem Verwaltungshandeln. Fortbildungen dafür werden noch nicht angeboten, anders beim „Ausweisungsrecht“.
Geplant war schließlich die Gründung eines Amtes für Migration, welches alle zuständigen Abteilungen der Verwaltung unter ein Dach holen sollte. Angekündigt wurde es breit und öffentlich als die große Lösung aller Probleme. Nur liegt ein Konzept dafür bis heute nicht vor. Dabei sollte das neue Amt in diesem Jahr an den Start gehen. Wir alle wissen: Es kam anders… Also wieder alles auf null. Immerhin wissen wir nun, dass die Sozialdezernentin dafür zuständig sein soll – nicht der eigentlich in vielerlei Hinsicht zuständige Beigeordnete Horn.
Durch diese Vorgänge wird der Eindruck erweckt, dass sich niemand wirklich verantwortlich fühlt, nicht mal der zuständige Dezernent. Forderungen und Beschlüsse aus dem Stadtrat werden ignoriert.
Im Zusammenhang mit der Einbürgerung müssen Antragssteller*innen aktuell drei Jahre warten, um einen Beratungstermin wahrzunehmen, den die Behördenleitung für unerlässlich hält. Auf die Möglichkeit, ohne Beratungstermin, beispielsweise da die Beratung bereits durch Migrationsberatungsstellen, den städtischen Beauftragten oder den befreundeten
Rechtsanwalt sowie die Online-Checkliste der Verwaltung in Anspruch genommen wurde, wird nicht adäquat hingewiesen. Zudem werden durch die Beratungsangebote, auf die viele Kommunen aus diesem Grund verzichten, umfangreich Mitarbeiter*innenressourcen gebunden. Daher müssen Antragsstellende auch nach der Einreichung mindestens ein Jahr, eher zwei Jahre, auf die Bearbeitung warten. Zuletzt gab es den Bericht, dass zwei potenzielle Polizeianwärter*innen aufgrund dieser Umstände Thüringen verlassen haben und in ein be- nachbartes Bundesland gezogen sind.
Im letzten Jahr noch wurde seitens der Stadtverwaltung jeglicher Bedarf an Stellenaufstockung vehement bestritten, sowohl im Ausschuss als auch in der Haushaltsberatung. Nun wurden doch eine Person für Verwaltungsaufgaben und drei Personen als Sachbearbeiter*innen eingestellt. Aufgrund von Teilzeit und Elternzeit stehen diese aber nicht im vollen Umfang zur Verfügung. Weitere Zuführung von Personal, auch kurzfristig per Abordnung aus anderen Ämtern, wurde abgelehnt. Obwohl geändertes Bundesrecht die Anzahl an Einbürge- rungsanträgen massiv erhöhen wird, wartet die Stadtverwaltung mit der Ausschreibung wei- terer Stellen auf die Vorlage und die Genehmigung des Haushaltes 2024.
Unsere Bitte und Aufforderung an Sie ist daher folgende:
Nehmen Sie als Oberbürgermeister sich dieser wichtigen Aufgabe an! Machen Sie die zu- kunftsfähige Ertüchtigung der Erfurter Ausländerbehörde und die Einbürgerung endlich zur Chefsache! Machen Sie aus der lahmen Ausländerbehörde ein reaktionsschnelles, kulturell offenes und zugewandtes Amt für Migration, welches den bei uns ankommenden Menschen ein gutes Ankommen ermöglicht und Perspektiven zumindest nicht verbaut. Denn das pas- siert aktuell massiv!
Nur Mut – Sie würden bei der ganzen Vorgeschichte und dem aktuellen Zustand der Ausländerbehörde nur gewinnen!
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Astrid Rothe-Beinlich und Jasper Robeck
Fraktion BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Erfurter Stadtrat
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